Grammatik


Kritische Analysen

In der Linguistik definiert der Begriff Grammatik die Menge an Strukturregeln, die die Zusammensetzung von Klauseln, Phrasen und Wörtern zu ganzen Sätzen bestimmen.

Sprecher einer Sprache haben eine Reihe von internalisierten Regeln für die Verwendung dieser Sprache und diese Regeln bilden die Grammatik dieser Sprache. Die überwiegende Mehrheit der Informationen in der Grammatik wird - zumindest im Fall der Muttersprache - nicht durch bewusstes Studium oder Unterweisung, sondern durch Beobachtung anderer Sprecher gewonnen. Ein Großteil dieser Arbeit wird in der frühen Kindheit geleistet. Das Erlernen einer Sprache im späteren Leben beinhaltet normalerweise einen höheren Grad expliziten Unterrichts. Somit ist Grammatik die kognitive Repräsentanz, die der Sprachverwendung zugrunde liegt.

Der Begriff "Grammatik" bezieht sich üblicherweise auf die Regeln, die der überwiegenden Mehrheit (s.u. bei Grimm) der, zum Beispiel, deutschsprachigen Grammatiken gemeinsam ist (wie die Subjekt-Verb-Objekt Reihenfolge in einfachen Aussagesätzen). Ein Nachschlagewerk, das die Grammatik einer Sprache beschreibt, wird als "Referenzgrammatik" oder verkürzt als "Grammatik" bezeichnet.

Kritische Analysen

Grammatik untersucht vor allem Einheiten, die größer sind als Wörter - Wortgruppen, Sätze, Texte. Sprache, Wortschatz (und damit ist nicht nur die Aufnahme von Anglizismen gemeint) und Grammatik ändern sich - eine lebende Sprache ist kein starres Gebilde.
Kritiker sehen in einer solchen Entwicklung natürlich den bevorstehenden Verfall der Sprache.

Zitat von Jacob Grimm aus der Vorrede zur "Deutschen Grammatik" von 1819:

"Vor sechshundert Jahren hat jeder gemeine Bauer Vollkommenheiten und Feinheiten der deutschen Sprache gewusst, d. h. täglich ausgeübt, von denen sich die besten heutigen Sprachlehrer nichts mehr träumen lassen; in den Dichtungen eines Wolframs von Eschenbach, eines Hartmanns von Aue, die weder von Deklination noch von Konjugation je gehört haben, vielleicht nicht einmal lesen und schreiben konnten, sind noch Unterschiede beim Substantiv und Verb mit solcher Reinlichkeit und Sicherheit in der Biegung und Setzung befolgt, die wir erst nach und nach auf gelehrtem Wege wieder entdecken müssen, aber nimmer zurückführen dürfen, denn die Sprache geht ihren unabänderlichen Gang."

Zitat von Wolfgang Müller aus "Gibt es so etwas wie eine "nützliche Grammatik"?" in: Informationen zur Deutschdidaktik, 1995:

"Die in Lehrbüchern kodifizierte Grammatik, die Normen, sind ein Korsett, das einerseits hilfreiche und nützliche Stütze sein kann, das aber andererseits auch Einengung und Abschnürung bedeutet. Normen sind nichts Numinoses, sie sollen den Sprachbenutzer nicht unterdrücken."

Deutsche Sprache

Die Deutsche Sprache ist schwer, so jedenfalls geht das bekannte geflügelte Wort: "Deutsche Sprache — Schwere Sprache".
Neben der Deklination (Beugung von Substantiven und Adjektiven) gibt es auch die Konjugation (Beugung von Verben).
Mit Beugung ist die “leichte” Änderung des Wortstamms gemeint, um unterschiedliche grammatikalische Kategorien wie Zeit, Person, Geschlecht, Kasus (Fall), Anzahl, Modus, Subjekt / Objekt auszudrücken.
In der englischen Sprache gibt es deutlich weniger „Beugung“ von Substantiven und Verben (was viele Studenten erfreut), daher nimmt diese Sprache unter anderen die sogenannten Konjunktionen und Präpositionen weit häufiger zu Hilfe, um die Relation der Elemente eines Satzes zu strukturieren.

Geschichte

Grammatik ist ein Teilgebiet der Linguistik, und wird als Regelwek aufgefasst. Dies ist historisch gewachsen. Die Griechen und Römer entwickelten Grammatiken über ihre Sprache, und die mittelalterliche Scholastik führte diese Tradition fort. Diese niedergeschriebenen Grammatiken waren "normativ" - sie beanspruchten für sich tatsächlich, "die Grammatik" einer Sprache abzubilden. Das diese prinzipiell nicht möglich ist, war nicht so tragisch, es konnten bei "toten Sprachen" ja keine empirischen Belege gesammelt werden. Leider ist diese Tendenz bis heute aktiv - und auch die Tendenz sich fast ausschließlich an der Schriftsprache zu orientieren um so eine "Hochsprache" zu schaffen, die als virtuelles Vorbild dienen soll (siehe auch Die Schrecken der deutschen Sprache). Es gab aber schon recht lange Kritik an diesem Vorgehen:

Jacob Grimm hat zusammen mit seinem Bruder substantielle Arbeit zur Analyse der deutschen Sprache geleistet. Zitat aus der Vorrede zur "Deutschen Grammatik" von 1819:

Seit man die deutsche Sprache grammatisch zu behandeln angefangen hat, sind zwar schon bis auf Adelung [Anmerkung: gemeint ist wohl Johann Christoph Adelung und sein Werk , Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (1774-1786)] eine gute Zahl Bücher und von Adelung an bis auf heute eine noch fast größere darüber erschienen.
Da ich nicht in diese Reihe, sondern ganz aus ihr heraustreten will; so muss ich gleich vorweg erklären, warum ich die Art und den Begriff deutscher Sprachlehren, zumal der in dem letzten halben Jahrhundert bekannt gemachten und gut-geheißenen für verwerflich, ja für töricht halte. Man pflegt allmählich in allen Schulen aus diesen Werken Unterricht zu erteilen und sie selbst Erwachsenen zur Bildung und Entwickelung ihrer Sprachfertigkeit anzuraten.
Eine unsägliche Pedanterie, die es Mühe kosten würde, einem wieder auferstandenen Griechen oder Römer nur begreiflich zu machen.
Auch den meisten mitlebenden Völkern sei es schwer begreiflich, ihre eigene Landessprache unter die Gegenstände des Sprachunterrichts zu zählen.


Zum Thema Sprache: bekannte deutsche Redewendungen, oder auch zeitlose Sprüche sind eine Wiederholung einer bereits dokumentierten (oder bekannten) "Kombination von Wörtern" - und damit nicht unbedingt eine Wiederholung des Inhalts einer Äußerung (bzw. Darstellung). Per Definition ist insbesondere ein Zitat immer auch ein Extrakt, da der ursprüngliche Kontext nicht ableitbar ist.

Die richtige Sprache

"Die Grammatik wurde in Griechenland erfunden oder eingeführt, als die Sprache anfing alt zu werden; die großen Dichter der Griechen hatten noch keine Grammatik gekannt. Wir können uns in diesen Zustand deshalb kaum mehr hineindenken, weil bei uns einerseits die Grammatik von frühester Jugend an geübt wird, anderseits Sprach-Richtigkeit mit Schrift-Grammatik verwechselt wird. Es klingt paradox, ist aber doch wahr: grammatikalische Fehler konnten vor der Erfindung der Grammatik gar nicht gemacht werden. SOPHOKLES konnte unmöglich gegen die Grammatik verstoßen, so wenig als ein plattdeutscher Dorfjunge gegen die innere Grammatik seiner Sprache sündigt.

Es ist vom Standpunkt unserer Sprach-Kritik selbstverständlich, ja es ist nur einer ihrer unwesentlichsten Ausgangspunkte, daß die Gemeinsprache eines Volks, die richtige Sprache, oder wie man die Sache nennen will, nur eine leere Abstraktion sei.

Der Hauptunterschied zwischen dem Recht eines Gesetzbuches und der richtigen Sprache besteht darin, daß die Sprache (seltene Fälle bei wilden Völkerschaften und bei den Franzosen ausgenommen, wo der Gebrauch eines Wortes wirklich mitunter von den vierzig Tyrannen der Akademie verboten wurde) gar nicht mit Erfolg kodifiziert werden kann. Unsere Wörterbücher und Grammatiken sind Privatarbeiten. Sie fassen die Regeln der augenblicklich gesprochenen Sprache zusammen, wie zur Zeit des Gewohnheitsrechts diese Regeln bereits von privaten Sammlern zusammengestellt worden sind, in den älteren Coutumes der Franzosen, in unserem Sachsenspiegel usw.

Wir wissen das alles, wir wissen ferner, daß selbst unter den Auserwählten eines Volkes, die sich wie die Schauspieler, Prediger und Abgeordneten besonders ihrer richtigen Sprache rühmen, niemals zwei genau die gleiche Sprache reden, wir wissen, daß die richtige Sprache eine ungefähre Gewohnheit ist, die Resultierende des allgemeinen Gebrauchs, mit der keine einzige Linie des wirklichen individuellen Gebrauchs vollkommen zusammenfällt. Wir wissen, daß die richtige Sprache zu jeder einzelnen, wenn auch noch so peinlichen Sprache sich verhält, wie die ideale, niemals noch geschaute, mathematische Kreislinie zum Bleistiftkreis auf dem Papier. Und selbst dieser Vergleich erweist der richtigen Sprache zu viel Ehre. Den idealen Kreis kann sich der Mathematiker wenigstens begrifflich denken. Die ideal richtige Sprache können wir uns nicht einmal denken, weil sie sich nicht aus Begriffen konstruieren läßt, sondern immer auf ein Ungefähr zwischen den Menschen zurückgeht". [Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache II, Ffm/Berlin/Wien 1982]